Leseprobe
aus der Autobiografie von Klaus-Peter Kolbatz
Kriegskinder
: "Spätes Leiden"
Die
Generation der "Kinder" des Zweiten Weltkriegs hat schreckliches
erlebt - vielen wird das heutzutage erst wieder bewusst.
Bombennächte,
Flucht und Vertreibung, mit der Panzerfaust in der Hand und Stolz im Herzen
mitmarschieren im letzten Aufgebot an der Heimatfront - gegen Ende des Zweiten
Weltkriegs sah so die Erfahrungswelt für etwa 60 Prozent der Kinder und
Jugendlichen in Deutschland aus.
Viele
dieser Jahrgänge gehören heute zu den
Führungseliten in Politik,
Wirtschaft
und Universitäten.
Sie
alle haben in ganz unterschiedlicher Weise ihre
lebensgeschichtlichen
Erfahrungen und Enttäuschungen
aus jener Zeit in unsere
gesellschaftspolitische
Landschaft
eingebracht.
Die
Generation der Kriegskinder verbindet - über alle unterschiedlichen
psychosozialen Umstände hinweg - Erfahrungen wie Hitlers Machtergreifung, den
Zweiten Weltkrieg, Nächte im Bunker, die Nachkriegszeit, Restauration und
Wiederbewaffnung, eine Elterngeneration, die sich mehrheitlich ausschwieg über
die Vergangenheit und das Erlebte.
Sowie den Mythos, der Krieg habe ihnen gar
nicht geschadet. Im Gegenteil, in extremen Lebenssituationen
aufzuwachsen,
Gewalterfahrungen zu machen, Vater, Mutter oder Geschwister zu verlieren, schien
den
meisten normal.
Selbst
die Psychiatrie vertrat lange Zeit die Auffassung, die schrecklichen und
schmerzlichen Erlebnisse
der Kriegskinder seien aufgrund der hohen Plastizität
des Gehirns letztlich psychisch folgenlos geblieben.
"Ein Mythos, der sich
hartnäckig auch unter den Kriegskindern gehalten hat".
Neue
Forschungserkenntnisse belegen jedoch: Wir sind Erinnerung und unser Handeln ist
immer
mitbestimmt durch Erinnerungen, selbst wenn wir an diese Erinnerungen gar
nicht mehr denken.
Seit
vielen Jahren verzeichnen Psychoanalytiker überdies eine Wiederkehr des verdrängten
Leids der
Kriegsjahrgänge. Patienten, die ihr Leben lange Zeit gut gemeistert
haben, beruflich und familiär
erfolgreich waren, klagen plötzlich über
diffuse, psychische Beschwerden, Ängste und Depressionen - und
finden keine
Erklärungen dafür.
So haben diese Studien der Universitäten in
Leipzig und Kassel herausgefunden, sind viele Angehörigedieser Generation von
psychischen Symptomen geplagt, die recht unspezifisch klingen: Dazu gehören
Panikattacken, die beständige Angst, den Anforderungen des Lebens nicht
gewachsen zu sein, Bindungsschwierigkeiten, Tendenzen zur Verschlossenheit,
Unerreichbarkeit für Partner und Kinder, diffuse psychosomatische Beschwerden
ohne Befund, Herz- und Kreislauferkrankungen. Mediziner und Psychotherapeuten
sollten bei der Behandlung älterer Patienten auch immer deren mögliche
Kriegsvergangenheit mit ins Auge fassen. Psychologen sprechen heute von „Burn-out“
und Borderline-Persönlichkeitsstörungen durch „posttraumatischen Belastungsstörungen“.
Erinnerung:
Erzählung vom Leid und Überleben von Klaus-Peter
Kolbatz
Der
Winter 1946/47 hat uns fast umbrachte.
Es
war der kälteste Winter des Jahrhunderts! Von
November 1946 bis Februar 1947 litt das vom Krieg
zerstörte Deutschland unter arktischen Temperaturen.
Die größte Hungerkatastrophe nach dem Krieg
Hunderttausende erfroren bei eisiger Kälte.
Den
Teddy ganz fest in der Hand, eingehüllt in Decken und
eng an Mama rücken: Nur so überlebten die Kinder die
eisigen Nächte
In
dem Zimmer, wo wir geschlafen haben waren die Wände
mit einer Eisschicht bedeckt. Die Fenster waren
zugefroren.
Für
die privaten Haushalte war zu diesem Zeitpunkt keine
Kohle mehr vorhanden, und Strom erhielten wir nur
kurze Zeit, manchmal nur zwei Stunden am Tag.
Als
Sechsjähriger „organisierte“ ich mit meinen
Kumpels Kohlen vom dem Umschlagplatz in Berlin-Tegel
wo manchmal über 30 Waggongs mit Kohle aus dem
Ruhrgebiet ankamen.
Aber
im Winter kam dann kaum noch ein Zug, schließlich
stand alles still. Der Kanal war mit dickem Eis
bedeckt, die Ostsee bis auf 35 Kilometer! Bei einer Außentemperatur
von bis zu minus 20 Gradfroren wir bitterlich in unserer kleinen
Wohnung und dabei war Hunger unser ständiger
Begleiter.
Die
Kälte war wirklich schlimm. Wir sind im Bett
aneinander geschlüpft damit wir bloß ein
bisscheneigene Wärme erzeugen konnten.
Blitzblankes Eis war da an den Wänden.“
Es
fehlte an allem, auch an warmer Kleidung. Ich
bin Anfang Dezember noch mit kurzen Hosen und
ohne Strümpfe rumgelaufen. Mit Schuhe wo die
Sohlen aus alte Autoreifen bestanden.
Der
Winter 1946/47 war eine humanitäre Katastrophe. Wer
keine Kraft hatte, den lebensfeindlichen Umständen zu
widerstehen, der war endgültig verloren. Historiker
schätzen, dass allein in Deutschland mehrere
Hunderttausend Menschen an den Folgen von Hunger und Kälte
starben. Weiter mit "Kriegskinder"....