Die
Russen kommen nach Rerik
Wir
schreiben das Jahr 1945. Ich bin drei Jahre Alt und die Russen
marschieren in meinen Geburtsort an der Ostseeküste ein. Meinen Eltern
wurde 3 Stunden Zeit gegeben ihre Habseligkeiten zu packen und aus der
Wohnung zu verschwinden.
Glücklicherweise
war zu der Zeit mein Vater aus der Gefangenschaft zurück und konnte
einen Leiterwagen mit Pferden organisieren, mit dem auch einige Möbel
in die ca. 5 km entfernte Wohnung transportiert werden konnten.
Während
meine Eltern die letzte Fuhre abholten ließen sie mich dieses mal in
der neuen Wohnung zurück, weil die Pferde durch den Tumult auf der Straße
scheu waren und mein Vater Schwierigkeiten hatte sie zu zügeln. Ich war
in der neuen Wohnung allein und sie war mir fremd.
Ich
hatte große Angst. Angst weil ich dachte sie haben mich vergessen, denn
es kam mir mit meinen drei Jahren wie eine Ewigkeit vor. Eine innere
Stimme sagte mir, Mami kommt hierher nicht zurück.
Ich
bin zu unserer alten Wohnung zurückgelaufen, weil sie ja sagten sie
fahren dort hin. Als ich ankam, hörte ich schon von draußen lautes
Krakeelen in einer Sprache die mir fremd war und mir Furcht einflößte.
Es waren Russen, die mir wie Ungeheuer aus dem Märchenbuch vorkamen.
Ich habe mich versteckt, weil ich dachte sie haben meinen Eltern etwas
angetan und werden mir auch etwas antun.
Nach
einer Weile habe ich mich aus dem Versteck hervor getraut und bin
weinend und nach meiner Mami rufend durch alle Zimmer gegangen.
Überall
waren Russen und als ich die Tür zum Badezimmer öffnete, saß einer
auf der Toilette mit einem Hintern, der doppelt so breit wie die
Toilettenbrille war und mit breiten herunter hängenden Hosenträgern.
Er hatte mein weinen gehört und sagte "hier nix Mama".
Bei
dem Anblick kamen mir entsetzliche Gedanken und ich dachte sie werden
kleine Kinder bestimmt aufessen. Ich bin davongelaufen. Es war kalt und
dunkel. Die Straßen wurden nur durch nicht endende Kolonnen von Panzern
und anderen Militärfahrzeugen spärlich erleuchtet. Der Krach flößte
mir zusätzlich Furcht ein und ich versteckte mich weinend und frierend
hinter einem Gebüsch bis mich eine Frau fand und mich mit nach Hause
nahm.
Ich
weiß nicht wie, aber irgend wann standen plötzlich meine Eltern vor
mir, ich war überglücklich.
Flucht nach Berlin
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Nachdem
wir aus Rerik an der Ostsee flüchten mussten, hat uns meine Oma und
mein Opa in Berlin vorübergehend in ihrem Einfamilien Haus aufgenommen.
Wir wohnten in einem Zimmer von ca. 3x4 Meter. Opa hatte einen kleinen
Garten wo er Gemüse und Obstbäume hatte. Ich weis noch wie er hinter
jedem Pferdeapfel hinterher war und die als Dünger nahm. Damals war es
auch üblich seine eigenen Fäkalien als Dünger für das Gemüse zu
verwenden.
Mein
Opa war ein passionierter Angler und hatte auch einen großen Angelkahn.
Ein Mal durfte ich mit und wir standen noch bevor die Sonne aufging auf.
Er ruderte weit zu einer bestimmten Stelle. Befestigte den Angelkahn an
Steckstangen und nahm als Köder selbstgemachten Teig und Blinker. Er fütterte
die Fische an und es dauerte nicht lange bis ein Karpfen anbiss.
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Danach
ging es schlag auf schlag bis wir gegen Mittag zurück fuhren. Zuhause
haben meine Oma und meine Mutter die Fische ausgenommen und von Schuppen
befreit. Meine Oma hat dann die großen Fische gebraten und ich durfte
die kleinen durch den Wolf drehen. Sie machte hiervon Fischbouletten. Es
war köstlich. Ich habe noch nie so etwas schönes gegessen. Bis dahin
bestand mein Essen im Wesentlichen aus Brennnesselsuppe. Wenn hier
einmal eine Kartoffelschale drinnen war, waren wir glücklich. Oder
Eintopf ohne Fleischeinlage. Wenn wirklich einmal ein kleines Stück
Fleisch im Topf war, bekam es mein Vater. Meine Mutter sagte „Er muss
arbeiten und bei Kräften bleiben“. Ich erinnere mich noch daran, dass
wir vor jedem Essen zu Gott beteten und ihm für dieses Essen dankten.
Mami,
der Himmel brennt.
Im selbst gebauten provisorischen
Bunker (in Berlin Tegel-Süd)
Am Nachmittag gab es wieder
Fliegeralarm, und dieses Mal wurde es auch für uns ernst. Wieder hörte
man, wie bei den vorausgegangenen Angriffen, die Bombeneinschläge in
der Ferne, aber die Zeitabstände dazwischen waren kürzer. Meine Mutter
packte mich dieses mal und wir rannten zum Nachbargrundstück. Er hatte
als Einziger vorgesorgt und eine Erdhöhle als provisorischen Schutz vor
Luftangriffe. Nachdem wir eine Leiter herabstiegen, setzten wir uns auf
eine Bank.
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Einige hatten Gasmasken mit und sahen für
mich zusätzlich furchterregend aus. Ich hörte das dumpfe dröhnen der
Bomber näherkommen. (starke Bomberverbände legten eine Stunde und 20
Minuten lang ihre Teppiche in und um Berlin)
Dann wurden die Detonationen lauter und
alle Gespräche verstummten. Plötzlich hatten alle Leute Tücher in der
Hand, die man in das Wasser tauchte und sich vor Mund und Nase band.
„Lass den Mund schön zu! Der Luftdruck ist zu gefährlich!“ sagte
meine Mutter noch vorher zu mir. Ich verstand zwar, was sie von mir
erwartete, aber nicht, was es mit dem Luftdruck auf sich haben sollte.
Dann drückte sie mich fest an sich und ich spürte wie sie zitterte.
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Zwischen den einzelnen Detonationen,
die jetzt näher kamen, herrschte atemlose Stille. Die nächsten Einschläge
waren noch heftiger und ich duckte mich jedes Mal, bis der Kopf bald den
Schoß von meiner Mutter berührte. Das Beben des Erdreichs war deutlich
zu spüren. Dann folgte ein Schlag, so als ob ein gewaltiger eiserner
Hammer auf die Höhlendecke gestürzt wäre. Jetzt rieselte Sand aus der
provisorisch mit Holzlatten abgedeckten Decke, Steine polterten und trübte
den Schein der Karbidlampen. Ich sah die Angst in den Gesichtern und spürte
das hier etwas furchtbares geschah. Meine Mutter drückte mich noch
fester an sich und ich glaube sie merkte gar nicht das sie mir wehtat.
Ich
traute mich selbst nicht zu sprechen, aber andere sagten leise: „das
hat ganz in der Nähe eingeschlagen“.
Nach einer Ewigkeit verhallten die
letzten Schläge, bis die lautlose Stille im Bunker bei Groß und Klein
mit der Gewissheit durchringt: "Es ist vorbei".
Als die Sicht wieder klar wurde, nahmen
wir unsere Tücher ab und schauten uns um. Die Erdhöhle war ganz
geblieben und niemand zu Schaden gekommen, aber oben an der Leiter war
es finster. Dort konnte man vorher einen schwachen Schimmer des
Tageslichts sehen, das durch den Ausstieg auf die seitliche Wand fiel.
Ich weiß nicht mehr, wer hinaufging um nachzusehen, aber bald kam die
erlösende Nachricht: „Wir sind nicht verschüttet, da liegen nur ein
paar große Steine herum!“
Diese Hindernisse wurden ohne Schwierigkeiten weggeräumt,
und wir kletterten wieder
hinaus. Ich sagte ängstlich zu meiner Mutter „Mami, der Himmel
brennt“. Das war nicht mehr die Welt, die ich kannte. Überall lagen
Steinbrocken, gebrochene Ziegel, gesplittertes Holz und zertrümmerte Türen.
Dort, wo vorher der Schuppen stand in dem ich gerne spielte, befand sich
jetzt nur ein Haufen Schutt. An unserem Haus brannte der Dachstuhl.
Vater meinte da muss eine Phosphorbombe eingeschlagen haben. Die
Nachbarn bildeten eine Kette mit Wassereimern und Vater stand auf einer
langen Leiter und versuchte das Feuer zu löschen.
Ungenügende
Luftschutzvorkehrungen
Trotz zahlreicher
Aufklärungskampagnen zum Luftkrieg noch vor Kriegsbeginn, wurde viel zu
wenig für den Schutz der Berliner getan. Während gigantische Mengen
Beton am Atlantikwall oder in der Wolfsschanze verbaut wurden, standen
in Berlin nie mehr als 65.000 Bunkerplätze für die trotz der
Evakuierungen immer noch knapp drei Millionen zählenden Einwohner zur
Verfügung. So mussten die allermeisten in zusätzlich abgestützten
Hauskellern Schutz suchen, ohne dort vor Volltreffern sicher zu sein. In
den Kellern starben die meisten der Berliner Bombenopfer, allein am 3.
Februar 1945 waren es 2.500. Doch auch die Bunker waren keine vollkommen
sicheren Orte, da durch Brände verursachter Sauerstoffmangel auch bei
starkem Bombardement eine Räumung unausweichlich machte.
Die Amis kommen mit Panzer. Es
gibt Bonbons und Schokolade.
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Geschenke von Gis -
Es ist Mai 1945 und
ich bin vier Jahre alt.
Es ist ein sonniger
Tag, ich darf Kniestrümpfe anziehen und Sandalen, die Vater mir noch
einmal aus alten Autoreifen gemacht hat.
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Auf einmal höre
ich ein rasselndes dumpfes Geräusch. Der Lärm wird stärker, es hört
sich an, als ob eine Lokomotive von den Gleisen gesprungen ist und nun
auf der Straße weiterfährt. Die Erde zittert. "Die Amerikaner
sind da", schreit jemand. Wir rennen zur Hauptstraße. Wir wollen
die Amerikaner sehen, die uns immer als Monster mit riesigen Köpfen und
großen Ohren beschrieben wurden, unsere Todfeinde, die noch vor wenigen
Tagen mit Tieffliegern und Bordwaffen die Häuser in Brand geschossen
haben.
Und da sind sie,
die Panzer mit ihren Kettenrädern und dem großen Kanonenrohr, die
langsam im Konvoi durch die Straße rasseln. Die Erde zittert, und die
Scheiben klirren in den Häusern. Die Leute stehen an den Straßenrändern,
stumm. Jemand hängt eine weiße Fahne aus dem Fenster.
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Der Konvoi hält.
Eine Luke öffnet sich, und ein Amerikaner steigt aus. Er kommt vom
Panzer herunter. Er hat keinen großen Kopf und auch keine Riesenohren.
Er sieht aus wie mein Vater oder mein Onkel, nur ein bisschen dicker. Er
hat einen Tarnanzug an, sandfarben mit braun und grün und trägt einen
Stahlhelm. Der Amerikaner kommt auf mich zu und sagt zu mir:
"Willst du mein Freund sein?" Ich nicke nur. Seine Stimme
klingt, als würde er gurgeln. Er greift in die Tasche seines
Tarnanzuges. Ich presse meine Handkanten gegeneinander und mache aus
meinen Händen eine kleine Höhle. Der Amerikaner füllt sie mit Bonbons
und Kaugummi.
Der Konvoi fuhr weiter und jedes Stück Schokolade, das ein gutmütiger
amerikanischer Soldat von einem Lastwagen warf, war ein Höhepunkt in
meinem Leben. Und wenn ich eine olivgrüne Dose mit Pfirsichen ergattert
hatte, glaubte ich, im Paradies zu sein.
Amerikaner
verteilen Carepakete |
Ich
spiele in Ruinen. Bomben und Granaten liegen herum.
Ich
sammle Buntmetall.
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Spielen
und einfach Kind sein ging oft nur in den Trümmerbergen, die für mich
wie eine Abenteuerwelt war. Gegenüber stand eine Ruine die im
Wesentlichen nur noch aus der Außenmauer und dem Treppenaufgang bis zum
dritten Stock bestand. In dem Häuserschutt fand ich nicht nur kostbare
Schätze, sondern noch scharfe Munition wie Projektile und Handgranaten.
Auf
einer im Rest vom Keller liegenden Fliegerbombe bin ich geritten und als
ich meiner Mutter davon erzählte hat sie furchtbar geschimpft und mir
den Zugang zur Ruine verboten. Einige Tage später wurde die Bombe
entschärft und ich hörte wie sich die Erwachsenen darüber
unterhielten. Hier soll ein Mann der eine Fliegerbombe entschärfen
wollte dabei ums Leben gekommen sein.
Mit
meinen Freunden habe ich zusammen verglichen, wer das Kostbarste
gefunden hat. Zu den
Kostbarkeiten zählten auch Knochen und Bombensplitter. "Man
versuchte ja, mit allem zu spielen und wir haben die Splitter dann nach
Größe und Zacken sortiert" und haben die Splitter dann
getauscht."
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Zu
meinem Alltag gehörten die Begriffe wie Luftmine oder Stabbombe
so
selbstverständlich wie die heutigen Kids vom Handy oder Gameboy reden.
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Etwa 13
Millionen ehemalige Kriegskinder leben heute in Deutschland. Diese
Kinder der Jahrgänge 1933 bis 1945 sind zwischen Trümmern groß
geworden. Ihre Kindheit im Zweiten Weltkrieg bedeutete: Flucht,
Bombenangriffe, Todesangst und Trennungen. Erst jetzt, am Ende eines
Arbeitslebens, beginnen die Betroffenen über ihre Erfahrungen und
Verwundungen zu sprechen. Die Kindheit hat sie geprägt, verarbeitet
wurde dies allenfalls im privaten Umfeld.
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Spielen mit
nichts
Kinderspielplätze,
wie sie heute in jedem Ortsbild selbstverständlich sind, gab es in der
Nachkriegszeit nicht. Dafür waren die Städte mit Ruinen und Trümmern
übersät, die für uns Kinder "Abenteuerspielplätze"
darstellten. Da unsere Eltern vollauf damit beschäftigt waren, das
kaputte Land wieder aufzubauen und das Lebensnotwendigste für die
Familie herbeizuschaffen, war Nachkriegskindheit häufig eine
unbeaufsichtigte Kindheit - mit allen Vor- und Nachteilen.
Seifenkisten
selbst gebaut
Da es fast noch
kein Spielzeug zu kaufen gab, behalf man sich mit selbst gebastelten
Dingen. Eine Zeitlang waren selbstgebaute Seifenkistenwagen
"in".
Vier Kugellager
brauchte man für einen Wagen und gut geölt mussten sie sein, damit man
aus ein paar Latten und Kistenbrettern einen fahrbaren Untersatz
herstellen konnte. Gelenkt wurde mit den Füßen und das Bremsen war
sehr schwierig.
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Alte Spiele und
Abzählreime
Spielzeug ist
Mangelware
In den heißen
Nachkriegssommern wurde meistens in Flüssen oder Weihern gebadet,
Autoreifen dienten als Boote und Schwimmhilfen, Schwimmbecken wie heute
gab es nur in größeren Städten. Die alten Kinderspiele, die schon die
Großeltern kannten, kamen wieder in Mode. Abzählreime beim
Versteckspiel waren sehr populär: "Ene mene subtrahene, dive dave
Domino, Opter, Propter, Kaiser lobt er, Zinke, zanke - raus". Oder:
"Drei Sanitäter hüpfen auf die Räder, hüpfen wieder raus und Du
bist draus".
Murmeln und Märchen
Besonders beliebt
war in der Nachkriegszeit das Schusser- oder Murmel-Spiel. Fast jedes
Kind hatte ein Leinensäckchen voller tönerner Schusser, mit denen
meist auf ein mit den Absätzen gebohrtes Erdloch gespielt wurde. Man
hatte Fäden für Fadenspiele, es wurden Kartenspiele, Mensch-ärgere-Dich-nicht,
Mühle und Schach gern gespielt. Puppen und Fußbälle wurden oft aus
Sackrupfen und Stoffresten gebastelt. Aus Weidenruten wurden Pfeifen
geschnitzt und da es noch kein Fernsehen gab und viele Familien in der
unmittelbaren Nachkriegszeit auch noch kein Radio besaßen, wurde viel
vorgelesen oder Geschichten und Märchen erzählt.
Kriegsmunition
als Kracher
Eine besondere
Versuchung für uns Buben war "Fundmunition". Überall an
Bach- und Flussrändern, in Wäldern und in abgelegenen Straßengräben
konnte man Infanteriemunition und manchmal auch die gefährlichen
Handgranaten und Panzerfäuste finden. Kein Wunder, dass es immer wieder
zu schweren und manchmal auch tödlichen Unfällen kam.
Viele Invaliden ohne
Arme, ohne Beine. Nehmen ihre Glasaugen heraus und erschrecken uns
Kinder damit.
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In
der Zeit sah ich viele Invaliden an Krücken und in Rollstühle. Einige
versuchten uns Kinder Angst einzujagen und zeigten ihre Beinstümpfe
oder nahmen ihre ohne hin viel zu großen Glasaugen aus der furchtbar
anzusehenden Augenhöhle heraus. Bei anderen fehlte eine Gesichtshälfte
oder sie hatten eine Metallplatte als Schädeldecke. Es war für mich
entsetzlich anzusehen, aber die Erwachsenen machten sich daraus einen
Spaß.
Mich
hat der Krieg in kurzer Zeit zu einem Profi des Schreckens erzogen, in
der die Wirklichkeit auch mit den heutigen schlimmsten PC-Games
mithalten kann.
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Diese schrecklichen Erlebnisse machten mich, wie sich
erst später in meinem Leben herausstellen wird, zum Meister von unterdrücken
von Gefühlen. Das in sich nach außen emotionslose hineinfressen von Ärger
aber auch Freude wird von anderen heute als Gefühlskalt ausgelegt.
Richtig ist aber, dass ich es gelernt habe mit Leid umzugehen und in
einem selbstlosen ausgeprägtem Helfersyndrom meine Anteilnahme zeige.
Heute nach über 60 Jahren macht sich das ständige nicht zeigen von Gefühlsausbrüche
negativ bemerkbar. Mein Akku ist leer und ich bin anfällig gegen
Depressionen mit Burn-out-Syntomen.
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Ich bin
aufwachsen mit den Wunden des Krieges
Mein Vater schlägt
mich fast tot.
(selbstgemachte
Schuhe mit Sohle aus Autoreifen)
Ich habe mit 4
Jahren die Bombardierung, die Enge im Bunker, das Schreien der
Erwachsenen erlebt. Das zerstörte Berlin. Doch all das konnte ich
irgend wie ertragen.
Die Angst meiner
Kindheit war nicht nur die Bedrohung durch Bomben. Mein Trauma begann,
als mein Vater aus dem Krieg zurückkam. Ein Kriegsvater. "Mutter
sagte: „Guck mal wehr da ist“ . „Das ist dein Vater“. Ich kuckte
ungläubig – der Mann vor mir hatte einen Vollbart und sah
furchterregend aus. „Freu dich, Vati ist aus dem Krieg zurückgekommen“.
Ich sagte: „das ist nicht mein Vater !“ Ich hatte
wirklich vor diesen fremden Mann Angst. Er hatte eine Schiebermütze
auf, trug einen langen ungepflegten Mantel und seine viel zu weiten
Hosen wurden durch ein Koppel gehalten mit dem ich später reichlich
Bekanntschaft machen sollte.
Er brachte nichts
aus dem Krieg mit, außer Härte und Strenge, die ihn zu diesem Soldaten
gemacht hatten. Das sollte ich bald zu spüren bekommen. Den Kasernenton
hat auch meine Mutter zu spüren bekommen.
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Mein
Vater, ein seelisch verwundeter Kriegsheimkehrer. Bedingungsloser Gehorsam
hatte er als junger Soldat gelernt und waren für ihm Gesetz. Seine Gefühle?
Weggedrillt. Mit Gewalt wollte er mich erziehen und gehorsam
einbläuen. Ich erinnere mich an ein Ereignis, das die Beziehung
zwischen mir und meinem Vater zu einer Angstbeziehung machte:
Ich
hatte lange Zeit keine Schuhe und musste barfuss laufen bis mir mein Vater
Sandalen aus Autoreifen machte.
Eines
Tages ging ich mit einem Wassereimer zum Tegeler See. Ich wollte meinen
Eltern eine Freude machen und habe Krebse gefangen. Hier war fast unter
jedem Stein ein Krebs und ich hatte sehr schnell den Eimer voll. Ich ging
ganz stolz nach Hause und freute mich auf ein Lob von meiner Mutter. Das
Lob blieb aus. Stattdessen fragte sie mich wo ich meine Sandalen gelassen
habe. Ich hatte das Gefühl als wenn mir der Boden wegsackte. Ich hatte
die Sandalen vergessen und am Tegeler See stehen gelassen. Ich bekam
sofort von meiner Mutter eine kräftige Ohrfeige mit den Worten „na
warte mal bis dein Vater kommt“. Ich rannte in Panik zum See aber meine
Sandalen waren weg.
Vor
meinem Vater hatte ich unheimliche Angst. Allein das Warten bis er nach
Hause kam versetzte mich in Panik. Als er nach Hause kam versteckte ich
mich unter die Betten von meinen Eltern. Das half mir aber nichts. Er
schnallte wie jedes Mal seinen Koppel ab und schlug unter das Bett. Ich
rutschte zur anderen Seite und er kam nach. Das ging so ein paar mal hin
und her bis er mich greifen konnte. Er drückte mich über die Bettkante
und prügelte hin wo er traf. Es tat furchtbar weh, aber anscheinend habe
ich nicht genug geweint, denn meine Mutter sagte zu ihm, „der merkt ja
gar nichts du musst ihm die Hosen herunter ziehen“. Das tat mein Vater
dann auch und ich flehte meinem Vater an aufzuhören. Aber er hörte nicht
auf und ich glaubte er schlägt mich tot.
Später
ließen die Schläge nach. Dafür drohten sie mir mit den Worten „du
kommst ins Heim“.
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